Karin Mörgelin

Kapitel 1

Punkt zwölf Uhr fuhren ein schwarzer Maserati Ghibli Cabriolet Vintage und ein silbergrauer Volvo XC60 auf den Parkplatz der Zugerbergbahn. Dem Maserati entstieg ein lässig gekleideter Bär um die vierzig, der einen aber nicht zum Knuddeln verleitete, und aus dem Volvo stellten sich zwei schwarze Lederschuhe und ein dunkelgrauer, maßgeschneiderter italienischer Anzug auf den heißen Asphalt. Das Gesicht war unter einem breitkrempigen schwarzen Hut versteckt, beim Verriegeln des Wagens reflektierte eine goldene Uhr die mittägliche Sonne.

Die beiden gingen aufeinander zu und setzten kurz ihre Sonnenbrillen ab.
„Herr Ostrowsky, schön Sie zu sehen. Haben Sie gut hierher gefunden?“, wollte der im grauen Anzug wissen.
„Herr Wyss. Einen schönen guten Tag. Auch in ein altes Auto kann man neue Technik einbauen. Mein mobiles Navigationssystem fand den Ort problemlos. Danke.“ Sie schüttelten sich die Hände und gingen zum Fahrkartenschalter.
„Lassen Sie mich das machen, Herr Ostrowsky“, offerierte Wyss großzügig. Ostrowsky hatte sowieso keine Anstalten gemacht, sich eine Fahrkarte für die Bahn zu kaufen. „Danke, danke, mein lieber Wyss. Sie kennen sich hier besser aus.“
Kaum hatten die beiden ein ruhiges Plätzchen besetzt, fuhr die Standseilbahn auch schon los. Vorbei an saftigen Wiesen und durch dunkelgrüne Waldstücke wurden die Passagiere auf den knapp 1000 Meter hohen Zugerberg transportiert.
“Hier lang“, sagte Wyss nach dem Aussteigen und deutete nach rechts, wo sich das Restaurant Zugerberg befand. Sie betraten das Gasthaus.
„Wir haben reserviert“, informierte Ostrowsky den Kellner, der ihnen den Eingang versperrte. „Ostrowsky. Zwei Personen. Fensterplatz.“
Der Kellner verneigte sich leicht und führte die Gäste an ihren Tisch.
„Kann ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?“ Der Kellner lächelte die beiden erwartungsvoll. Ostrowsky schaute fragend zu Wyss.
„Äh, ich nehme ein Glas Weißen.“ „Für mich ein Bier. Und die Speisekarte.“ Der Kellner nickte und verschwand.
„Traumhafte Aussicht.“ Hinter dem Panoramafenster erblickte Ostrowsky weit unten den See und dahinter die Alpen.
„Ja, wir haben hier ein schönes Fleckchen Erde erwischt“, kommentierte Wyss stolz. Nachdem die Getränke serviert waren und sich beide für den Niederwiler Zuchtsaibling mit Kräuterrahmsauce auf Gemüsereis entschieden hatten, übernahm Ostrowsky die Gesprächsführung.
„Um noch einmal auf das schöne Fleckchen Erde zurückzukommen, Herr Wyss. Ich will nicht lange drumherum reden: Mich interessiert diese Wiese am See. Sie wissen, welche ich meine?“ „Ich gehe davon aus, Sie meinen die 6000 Quadratmeter große Schützenmattwiese in der Nähe des Jachthafens? Das ist schwierig. Die Stadt ist sich noch nicht sicher, ob sie das Grundstück verkaufen oder als Freizeitgelände für die Bürger der Stadt ausbauen soll. Es ist jetzt schon ein beliebter Platz zum Ballspielen, Picknicken und dergleichen. Andererseits – ein Investor mit einer guten Idee, die den Zuger Einwohnern Vorteile bringt, wäre durchaus auch denkbar.“ Das Gespräch wurde vom Kellner unterbrochen, der die Speisen servierte. Um sie nicht kalt werden zu lassen, begannen beide zu essen. Nach einer Weile nahm Ostrowsky das Gespräch wieder auf. Er klaubte sich eine Gräte aus den Zähnen und spülte mit einem Schluck Bier nach. „Meine Ideen sind gut. Was würde das Gelände kosten?“
„Wir sprechen da von gut 16 Millionen Schweizer Franken. Zug ist ein teures Pflaster und die Wiese am See ist ein Filetstück der Gemeinde. Welche gute Idee schwebt Ihnen vor?“ „Ein Wellness-Hotel. Premium Klasse.“
„Oh! Schwierig, schwierig. Ich glaube nicht, dass wir das im Gemeinderat durchbekommen. Was brächte das der Zuger Bevölkerung?“

„Mehr Touristen, mehr Steuereinnahmen für andere Projekte, eine tolle Sauna- und Pool- Landschaft. Ferien zuhause – bestimmt fällt Ihnen auch noch etwas ein. Ich zahle 20 Millionen und erlasse Ihnen Ihre Spielschulden bei mir für Ihren persönlichen Einsatz in dieser Sache. Überlegen Sie gut. Andernfalls ... Sie wissen, was ich meine.“
„Aber, aber, Herr Ostrowsky, wir sprechen hier nicht von Bestechung und Erpressung, oder? Das hören wir hier in der Schweiz nicht gern. Außerdem: Ich kann ja gar nichts entscheiden,“ versuchte Wyss sich herauszureden. Er war blass geworden und fühlte sich sichtlich unbehaglich.

„Ich rede von Einsatz und Erfolg, Herr Wyss, nicht von Entscheidung.“ Ostrowsky beugte sich über den Tisch in Richtung Wyss und grinste verschlagen. Die Kräuter der Sauce hatten sich in einer unregelmäßigen Reihe auf seinen Zähnen niedergelegt. „Und außerdem: Es bleibt Ihnen keine andere Wahl.“ Wyss drehte den Kopf in Richtung Fenster, um einer leichte Übelkeit Einhalt zu gebieten.
„Nun gut.“ Er zwang sich, sich wieder Ostrowsky zuzuwenden und schaute ihm in die bedrohlich blickenden dunklen Augen. „Schicken Sie mir Ihre Pläne per Mail und ich schau, was ich machen kann.“